Tja, was soll ich sagen? Am besten gar nichts. Es hat sich nichts verändert, aber alles ist anders. Das Schicksal meint es mal wieder nicht gut mit uns. Aber der Reihe nach. Als letztes war ja das Rachel-Problem aktuell, mein Gott, erscheint mir das jetzt bedeutungslos. Das wird ein langer Post, es gibt viel zu verarbeiten. Ich muss das alles loswerden und aufschreiben und ich brauche viele schöne Bilder für die Seele. Lasst mich, ihr versteht meine Welt eh nicht!
Ich weiß, ich wiederhol mich, aber da oben ist ein [x] für die, die es nicht wissen wollen.
Rachel hat immer noch nicht aufgegeben, aber Tobi bleibt ziemlich hart, das fühlt sich in meiner Seele irgendwie gut an, denn er will mich und keine andere, warum auch immer. Tja, Applaus Hure. Aber du bist ihm nicht gut genug. Du bist ja so geil und jeder steht auf dich. Nur er nicht. Er will mich.
Bin ich so gut? Ich sei die Beste, sagte er schlicht. Ich weiß ja nicht.
Am 8. September hatte er Geburtstag, endlich sind wir beide 19. Ja, Tobi ist ein paar Monate jünger als ich, na los, es gibt genug, dich sich ihre Mäuler darüber zerreißen, also tut es bitte auch, der Ordnung halber. Und für mein Image.
Nein, so ist das nicht gemeint, aber es regt mich trotzdem auf. Vielleicht versteht das ja einer.
Ich weiß, das versteht keiner, aber ich musste es tun, ich konnte nicht anders. Ich habe mit ihm also seinen Geburtstag in London gefeiert, er hat mich mit zu seinem Arbeitsplatz genommen und mir seine Gastfamilie vorgestellt. Und Rachel habe ich auch kennen gelernt, wirklich eine arrogante Barbie-Puppe mit zehn Tonnen Schminke im Gesicht. Meine Fresse, war die sauer.
Meine Mama war doppelt sauer. Sie kommt von der Arbeit nach Hause und findet eine leere Wohnung vor. Kein Zettel, keine Nachricht. Und ich war nicht zu erreichen, weil ich im Flugzeug keinen Empfang hatte. Wenn ich unüberlegt handel, denke ich nur an die Hälfte, das kommt davon.
Als ich aus England wiederkam, hat Mama mich vom Flughafen abgeholt und mir die gesamte Autofahrt über Vorträge gehalten. Ja Mama, ich weiß, dass ich Mist gebaut habe, ich weiß auch, dass du dir Sorgen machst, aber ich bin mittlerweile 19 und nicht mehr dein kleines Küken.
Den einen Tag vom Tanzlehrgang, den ich verloren habe, war schwer, wieder aufzuholen und ich bin mittlerweile jeden Tag froh, wenn ich nach Hause komme und mich einfach nur auf die Couch packen kann. Vor allem zum Essen. Womit wir beim nächsten Problem wären: 45 Kilo. Als ich das auf der Waage gesehen habe, wäre ich vor Schreck fast umgefallen. Das geht ja gar nicht! Ich muss dringend essen. Disziplin, Madame. Ich fühle mich auch irgendwie komisch, ein bisschen schlapp, ausgepowert und kaputt. Dieser Tanzlehrgang zerrt ganz schön an den Kräften. Das wusste ich zwar vorher, aber hinterher ist man ja bekanntlich immer schlauer.
Damit könnte ich theoretisch noch leben, aber der nächste Hammer, der nun folgt, damit kann ich nur schwer leben, obwohl ich es muss.
Anne ist tot.
Ich weiß echt nicht, was ich dazu sagen soll, es ist noch so unwirklich und weit weg, das hat wahrscheinlich noch niemand realisiert. Es ist, als ob die Zeit stehen geblieben ist und sich nichts mehr bewegt.
Nichts hat sich verändert. Was nicht stimmt, weil sich alles verändert hat. Sie ist nicht mehr.
Sie wurde Ende August ins Krankenhaus eingeliefert, das hatte ich ja noch geschrieben, es sah nach einer Lungenentzündung aus. Anderthalb Wochen musste sie sich aufregen, wie öde und langweilig das Krankenhausleben doch ist, dann durfte sie endlich wieder nach Hause.
Am nächsten Abend war sie wieder wie immer, wir waren zusammen bei Freunden, das war zwar keine Party oder so, aber trotzdem hätten wir sie niemals mitnehmen dürfen!
Am nächsten Tag ist sie zusammengebrochen und wieder ins Krankenhaus eingeliefert worden. Disgnose: Lungenembolie. Ich frage mich, was die Ärzte bei ihrem ersten Aufenthalt gemacht haben. Karten gespielt? Geld verwettet? Däumchen gedreht?
Zwei Operationen, die zweite hat Anne nicht überlebt.
Ich habe das in der Mittagspause von meinem Tanzlehrgang erfahren, S. hat mich angerufen, das war der Schock des Tages. Wie geht man damit um? Ich habe erst mal weitergetanzt, ich brauchte irgendwas zu tun. Aber dann, wenn man nichts mehr zu tun hat? Zu Hause bin ich in Tränen ausgebrochen. Doch nicht unser Annchen! Ich konnte mich noch nicht einmal richtig von ihr verabschieden. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich sie nicht öfter besucht habe, weil ich durch den Lehrgang total unter Strom stand, aber hätte, wenn und könnte...
Zwei Dinge stehen fest: Wir hätten sie niemals zu den anderen mitnehmen dürfen, wir haben versagt, wir haben nicht auf sie aufgepasst. Und hätten die Ärzte bei ihrer ersten Krankenhauszeit ihren Job richtig gemacht, würde Anne vielleicht noch leben. Soviel zur Theorie.
Ich könnte ehrlich gesagt immer noch heulen, dabei ist es schon eine Woche her. Alle unsere Freunde sind aus allen Ecken zurück gekommen, um diese schweren Stunden durchzustehen, letztes Wochenende ist sogar Steffie aus Tansania wieder eingeflogen und Linchen aus Russland zurück gekommen. Bei mir ist zurzeit I., die ihr FSJ unterbrochen hat. Zu Hause wollte sie nicht schlafen.
Tobi und J. kommen zur Beerdigung aus England und sogar unsere Amerikanerin Kathy aus Denver kommt wieder her. Meine Schwester aus Frankreich kommt auch, die muss ich am Freitag vom Flughafen abholen.
Am 8. Oktober ist die Beerdigung, das wird hart. Ich war noch nie auf einer Beerdigung, weil es bisher in meinem Leben niemanden gab, den man unter die Erde bringen musste, glücklicherweise. Aber ich hatte gehofft, ich kann bei meiner ersten Bestattung mit etwas weniger Heftigem anfangen. Doch nicht Anne! Das ist nicht fair, sie wollte doch noch so viel machen! In drei Wochen wäre sie 19 geworden.
Sie hat mir bei so vielem geholfen, ich konnte mich noch nicht einmal bedanken! Ich fühle mich so schlecht. Ich bin traurig, ich mache mir Vorwürfe, ich könnte den ganzen Tag heulen, ich will unsere Anne zurück haben!
Ich muss das alles aufschreiben, um zu verarbeiten, um nicht verrückt zu werden. Ich muss irgendwas tun, sonst geh ich kaputt. Ich dreh noch durch!
Ich habe schon angefangen, Briefe zu schreiben, zwei sind schon fertig. Das hilft irgendwie, ich wollte Anne doch noch so viel erzählen.
![]() |
Sie wird immer einen Schlüssel zu meinem Herzen haben, ich habe sie dort mittlerweile eingeschlossen und die Schlüssel weggeworfen. Sie kommt dort nie wieder heraus. |
Die Zeit bleibt stehen, ich will in die Kirche gehen und Millionen von Teelichtern für Anne anzünden, dabei bin ich gar nicht gläubig. Ich denke, ich werde es in dieser Woche trotzdem machen, I. und S. kommen bestimmt mit.
Ich habe seit anderthalb Wochen nicht mehr als 20 Stunden geschlafen, jede Nacht immer ein bisschen, die meiste Zeit war ich wach und hab vor mich hin gequietscht. Ohne heulen bin ich wohl kein Mensch. Ein Wunder, dass ich bei dem ganzen Stress, der mich zurzeit so umgibt, noch nicht zusammen gebrochen bin.
Ich muss ans Meer, Ostseeluft um mich herum. bestimmt machen wir das morgen alle zusammen, ist ja Feiertag. Lagerfeuer am Strand, Gitarren mit, Salz in den Augen, Meeresgeruch im Haar, Sterne, ... ohne Anne...
Jetzt weine ich schon wieder...
Hilft nichts, da müssen wir durch.
Lots of Love,
Eure traurige Eileen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen