wisst ihr, man tut Sachen und weiß danach nicht, warum. Man
möchte Dinge und kann sie trotzdem nicht erreichen, weil das Schicksal es nicht
gut mit einem meint. Dieser Blog war mein Baby. Mein persönliches Tagebuch, in
das ich alles hineinschreiben konnte, was ich wollte. Völlig anonym und
unverfroren konnte ich die Eileen sein, die ich bin. Das kann ich auch immer
noch, mein Baby ist noch da. Aber irgendwas ist anders. Ich habe auch drüber
nachgedacht, ob ich mein Marmeladenglas löschen sollte, mich dann aber dagegen
entschieden.
Es ist ein Dreivierteljahr her, als man zum letzten Mal was
von mir gehört hat. Ich lebe noch, das mal zum Anfang. Und es geht mir gut. In
meinem Leben hat sich nicht viel verändert und gleichzeitig hat sich alles
verändert. Ich würde sagen, ich bin erwachsener geworden. Ich bin immer noch
mit meinem Freund Tobi zusammen und immer noch die Verrückte, die am liebsten
den ganzen Tag in der Tanzschule verbringt. Das hat sich also nicht geändert.
Vor einem Dreivierteljahr befand ich mich gerade in
Rumänien. Harter Job. Wenn ich so drüber nachdenke, waren alle unsere
Freiwilligendienste (Work&Travel) harte Jobs, aber wir sind froh, dass wir
sie erleben durften. Was ist dann passiert?
Nach den drei Wochen in Rumänien hatten wir erst mal eine
Auszeit von zwei Wochen, die wir zu Hause in Deutschland verbracht haben. Es
war wunderschön, so nach fast einem Jahr in der weiten Welt endlich mal wieder
nach Hause zu kommen. In diesen zwei Wochen habe ich mir selbst auch
strengstens verboten, irgendwas anderes zu machen als zu verarbeiten. Ich habe
nichts geschrieben, ich habe nur nachgedacht. Ich bin viel tanzen gegangen, um
mich zu beruhigen. Außerdem haben Tobi und ich uns die Mammutaufgabe gestellt,
allen lieben Menschen, bei denen wir in gesamt Europa Zeit verbringen durften,
ein Dankeschön zu schicken, das hat dann auch die vollsten zwei Wochen in
Anspruch genommen. Tobi ist den lieben, langen Tag durch die Gegend gefahren
und hat Geschenke gekauft und ich saß zu Hause und habe in mehreren Sprachen
Briefe verfasst, Videos von uns beiden geschnitten, die Geschenke eingepackt
und Fotos entwickeln lassen. Abends haben Tobi und ich uns dann immer
hingesetzt, die Videos gedreht und uns Gedanken gemacht, wem wir was schicken
könnten. Es war eine riesengroße Arbeit und hat uns viel Geld, Zeit und Nerven
gekostet, aber das war es wirklich wert!
Von einigen bekamen wir dann auch ziemlich bald darauf eine
Antwort, wir müssten sie besuchen kommen und wären jederzeit herzlich
willkommen, aber das habe ich schon alles nicht mehr mitbekommen, denn für mich
ging es nach den zwei Wochen vier Monate nach Valencia, Spanien. Neben meiner
eigentlichen Arbeit in einem Kinderheim habe ich dort auch meine ehemalige
Gastfamilie und unsere Schule, in der wir gearbeitet haben, besucht. Und
natürlich auch die Tanzschule von damals, in der ich in jeder freien Minuten zu
finden war. Sie haben mir dort Flamenco beigebracht, wofür ich sehr dankbar
bin. Das sieht leichter aus als es ist und kostet einen sehr viel Übung und
Körperbeherrschung.
Auch in Spanien habe ich keinen einzigen Tag
gebloggt und ich muss gestehen, ich habe es nicht vermisst. Ich habe dort ein
klein wenig die Mentalität der Spanier angenommen. Feuer im Blut, aber Ruhe in
der Seele. Ich war dort so ausgeglichen wie noch nirgendwo anders, mir hat es
an nichts gefehlt, abgesehen von Tobi, der in Deutschland geblieben ist und die
vier Monate noch gearbeitet hat. Es ging mir dort gut, obwohl bei mir zu Hause
die Welt zusammen gebrochen ist. Das Schicksal ist eben gnadenlos und schlägt
manchmal liebend gerne zu.
Es war gerade die Hälfte von meinem
Spanienaufenthalt um, als mich ein Anruf aus Deutschland erreichte: „Ihre
Mutter wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Es geht ihr sehr schlecht. Ist es
Ihnen möglich, herzukommen?“ – „Was ist passiert?“ Aber eigentlich wollte ich
es gar nicht wissen, denn mein Verdacht bestätigte sich auch noch. Unsere
Vergangenheit hat uns eingeholt. Meine Mama konnte nicht mehr. Natürlich musste
ich zu ihr, ich muss immer bei ihr sein, wenn etwas ist, wir brauchen uns
gegenseitig. Es gab nichts zu diskutieren, ich bin zurück nach Deutschland und
war für sie da. Und sie für mich. Und Tobi für uns.
.
Auch in
dieser schweren Zeit gab es keine verfügbaren Nerven für mein Baby, ich wusste
einfach nicht, was ich machen sollte, so weitermachen wie bisher kam mir zu
banal vor. Dennoch bin ich wieder zurück nach Spanien gereist. Ich fühlte mich
feige und egoistisch deswegen, aber ich habe meinen Freiwilligendienst
mechanisch zuende geführt, mein Zertifikat bekommen und ab nach Hause. Es ging
allen besser, aber die seelischen Narben bleiben. Auch meine.
Es war ursprünglich geplant, dass Tobi und ich
zusammen in Rostock studieren. Aber als ich dann gerade frisch gebacken aus
Spanien wiederkam, konnte ich Rostock nicht mehr sehen. Ich wollte weg von zu
Hause und gleichzeitig auch meine Mama nicht alleine lassen, die mit mir jedoch
ellenlange Diskussionen geführt hatte, dass ich mein Leben nicht aufgeben
sollte, um ihres zu beschützen. Also sind Tobi und ich zusammen weggezogen,
weit weg. Wir leben jetzt in Leipzig und studieren hier auch beide. Mein
Studiengang hat keinen NC, also konnte ich nachträglich noch hineinrutschen,
aber Tobi musste für seinen extrem kämpfen, hat es aber geschafft. Wir haben
hier eine Wohnung gefunden, tolle neue Leute kennen gelernt und ich habe eine
Tanzschule für mich entdeckt. Mein Studium macht mir Spaß, mit mir zusammen
studiert Romy, und zwar genau das Gleiche, wir haben uns so kaputt gelacht, als
wir uns im Vorlesungssaal zum ersten Mal gesehen haben. Ich habe Französisch,
Spanisch und Italienisch – genau wie Romy auch. Ich wusste zwar, dass sie auch
hier in Leipzig gelandet ist, aber bin trotzdem völlig gedankenversunken zur
Vorlesung gegangen, um die Überraschung meines Lebens zu bekommen. Außerdem
habe ich noch Rumänisch, voll gut, dann verlern ich wenigstens nicht sofort
alles, was ich mir dort eingeprägt habe.
Da Romy und ich jetzt so ziemlich auf einen Haufen sind und uns jeden Tag sehen, haben wir beschlossen, unsere Babys zu verbinden, sie ist genauso eine Schreiberin wie ich. Sie hatte zwar bisher nie einen Blog, aber sie wird hier ab und zu ein paar Posts als Gastautorin verfassen. Wir haben uns natürlich einen ungünstigen Zeitpunkt für den Start ausgesucht, nächste Woche fangen unsere Prüfungen an und ich muss noch so viel lernen, aber in Angriff nehmen wollen wir das Ganze schon. Wir wollen diesen Blog, dieses Marmeladenglas zu zweit wieder aufleben lassen, ich will mein Baby nicht wegschmeißen. Und zu zweit ist vieles einfacher, dann muss ich nicht mehr ganz so viel Angst haben oder mich verstecken.
Romy ist ein bisschen offener als ich, wahrscheinlich wird sie der repräsentative Teil und ich der organisatorische. Wir wissen es noch nicht, wie wir das aufziehen wollen, aber wir möchte zu zweit etwas erreichen, was uns Spaß macht.
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