Montag, 17. Dezember 2012

Am Strand. Dem Wellengang lauschen.

Coucou,

ich spüre den Lehrgang in allen Knochen, jede Bewegung schmerzt. Jetzt, wo ich lange schlafen darf, kann ich es nicht. Ich glaube, ich brauch selber erst mal ein oder zwei Tage, um runterzukommen. Essen ist anstrengend, es ist, als würde man einer Magersüchtigen wieder beibringen müssen, ordentlich und gesund zu essen, sogar mein Ernährungsplan steht schon. Ich wollte nie magersüchtig sein, jetzt bin ich es wohl zwangsweise oder eher ungewollt geworden.
Heute spazierte ich am Strand lang und begegnete einem kleinen Mädchen mit ihrer Mutter. "Guck mal, Mama, die Frau da ist total dünn. So möchte ich auch aussehen."  Und die Mutter fuhr ihre kleine Tochter an: "Um Gottes Willen, nie im Leben machst du diesen Magerwahn mit, du bleibst gesund." Weil Menschen eben urteilen, ohne hinzugucken. Aber ich kann sie schon verstehen, ich gebe zurzeit das Bild einer lebendigen Leiche ab, das ist für die Außenwelt eben ziemlich verstörend.



Es ist die letzte Woche vor Weihnachten, überall riecht es nach Plätzchen und Zimt. Ich habe noch nicht alle Geschenke zusammen, wann denn auch, dafür ist jetzt genug Zeit. Das meiste werde ich sowieso selbst machen, es beruhigt und ist außerdem viel schöner. Meine Mama und ich feiern Weihnachten wie die letzten Jahre mit Tobis Familie zusammen, zu der wir laut deren Aussagen schon seit drei Jahren gehören. Dann habe ich endlich wieder ein paar Tage zum Durchatmen. Am zweiten Weihnachtsfeiertag wollen wir, also unser großer Freundeskreis, übrigens alle zusammen Annes Grab besuchen. Schade, dass der Schnee mittlerweile am Schmelzen ist. Ich halte zwar nicht viel von Winter, Kälte und Schnee, aber das Weiße hätte bestimmt hübsch ausgesehen, zusammen mit den Tannengestecken, den Grablichtern und dem roten Grabstein. So weiß wie Schnee, so rot wie Blut, so schwarz wie Ebenholz. Wie bei Schneewittchen. Zwar hatte Anne blonde Haare, aber dafür einen schwarzen Galgenhumor, über den wir so oft lachen mussten. Sie fehlt uns.

In dieser Woche komm ich endlich mal zu so vielen Dingen, die sonst immer liegen bleiben müssen. Ich werde mal richtig unsere Wohnung aufräumen, sauber machen und das ganze Weihnachtszeug rauskramen, stellt euch vor, wir haben noch nicht ein bisschen Weihnachtsdeko aufgestellt, bei uns vertrocknen noch die Herbstblätter. Meine Mama muss auch viel arbeiten und für so was haben wir dann eben beide keine Zeit. Ich werde außerdem auch in meiner Tanzschule beim Jahresendreinigen helfen, obwohl meine Chefin es mir höchstpersönlich verboten hat, nachdem sie gesehen hat, wie ich beim Lehrgang anfing und wie ich letztendlich wieder wegging. Aber ohne tanzen kann ich eben nicht ganz, das brauch ich zum Gesund werden. Und zur Jahresversammlung und Weihnachtsfeier wollte ich natürlich auch gehen. Alles in dieser Woche.
Und dann wird's gemütlich und wir können endlich entspannen. Duftkerzen, Tee, ein gutes Buch, und ab in die Badewanne. Das mach ich jedes Jahr mindestens sechs Mal, also so circa alle zwei Monate, aber in den letzten Jahren hat sich das eher vermehrt vor und zu Weihnachten angehäuft. Und gerade jetzt könnte ich das wahrscheinlich noch öfter gebrauchen. Und ganz viel Liebe.
Tobi ist ganz zuckersüß zu mir. Er kocht mir leckere Dinge, massiert mir Rücken und Füße, auch wenn ich sage, dass er das nicht tun muss, bringt mich zum Lachen und ist einfach für mich da. Die Zeit in London hat ihn entschlossener und konsequenter gemacht, er ist um viele Erfahrungen reicher.


Jetzt werde ich noch etwas essen und mich dann ins Bett legen, ich bin schon wieder total müde. Morgen geht's in die Stadt, ein bisschen was einkaufen, ein paar Leute besuchen und vor allem zum Arzt gehen, meine Mama hat mich gezwungen. Aber die werden mir sowieso nur das sagen, was ich sowieso schon weiß: "Sie sind viel zu dünn, Sie müssen mehr essen." Ja, danke.
Lots of Love,
Eure Eileen

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