Es sind "nur" noch -3° C, also nicht mehr ganz so kalt wie in den letzten Tagen, trotzdem reicht es mir schon wieder. Finnland ist zwar echt schön, aber ich brauche Wärme um mich herum. Sonst ist hier aber alles total faszinierend, die Natur um uns herum beneidenswert, die Arbeit interessant und die Gastfamilie total süß. Vorher aber erst mal wie gewohnt mein Fazit zur Irland.
I R L A N D - F A Z I T :
Es ist mir wirklich komplett schleierhaft, warum zwei unerfahrene, ausbildungslose und chaotische Deutsche, die noch nicht mal ein Wort Gälisch sprechen konnten, für diese Knochenarbeit mit Jugendlichen genommen wurden. Ich hatte in meiner Tanzschule schon viel mit Kindern und anderen Leuten zu tun und auch Tobi war in England ja voll bei der Sache mit ganz vielen Menschen, aber solche komplizierten Jugendlichen, das war für uns Neuland. Wir haben keine sozialpädagogische Ausbildung, wir sind keine Psychologen. Und obwohl unsere Aufgabe nicht die Problembetreuung der Jugendlichen lautete, wurden wir dennoch sehr oft damit konfrontiert. Es war nicht ohne und so extrem anstrengend, dass ich manchmal sogar kaum schlafen konnte, weil es mir nicht aus dem Kopf ging, dass das suizidgefährdete Mädchen sich zum achten Mal umbringen wollte, dass zwei kleine Mädels von dem aggressivsten Typen erpresst wurden, dass das Jugendamt jeden zweiten Tag vor der Tür stand und einige Problemfälle abholen und in den Knast stecken wollte. Robert hat sich da standhaft geweigert, denn er findet, dass Abschiebung auch keine Lösung ist. Einer davon hat zwar eine riesige Strafakte und es ist durch das Jugendamt dann eben herausgekommen, dass er mehrere Autos geknackt hat. Er wird irgendwann seine Strafe absitzen müssen, unser vorlauter Sean, der auch schon Tobi bepöbelt und bespuckt hat. Wie kann man bei einem Kind so sehr versagen? Aber darüber darf ich mir kein Urteil erlauben.
Dieser Job griff extrem unsere Psyche an. Ich frage mich, wie Fiona das schafft, immer komplett ruhig und gelassen zu bleiben. Ich könnte das nicht machen, ich wäre nach einem halben Jahr ausgepowert und verbraucht. Wobei Pferde in so einem Fall wirklich sehr helfen. Das hat auch Tobi, der mit Pferden überhaupt nichts am Hut hat, mitbekommen und ist einmal zu mir in den Stall gekommen, als ich gerade in einer Box an der Wand angelehnt saß und das Pony Myre aus meinem Schoß Möhrchen geknabbert hat. Tobi setzte sich zu mir. Dann starrte er eine halbe Stunde lang ins Leere. In solchen Momenten arbeitet es in ihm auf Hochtouren und man lässt ihn dann in Ruhe. Ich habe nämlich das Gleiche gemacht.
Also: Irland heftig, am Montag angekommen in Finnland, genauer gesagt in Seinäjoki, eine Stadt im Westen des Landes. Es ist hier verdammt kalt, aber sehr hell, die Sonne geht sehr spät unter und auch früh wieder auf. Und einmal haben wir sogar schon Polarlichter gesehen. Zwar nur ganz leicht, aber ich war trotzdem komplett fasziniert.
S E I N Ä J O K I :
Die Stadt selbst ist recht überschaubar, zusammen mit den ganzen Gemeinden bin ich dann aber schon wieder überfordert. Vor allem, weil ich kein Finnisch kann. Die Stadt ist eher modern angelegt, wie ich finde, ist aber trotzdem irgendwie schön, obwohl ich nichts vom Zupflastern mit Glaskästen halte. Die Menschen hier sind sehr ausgeglichen und friedlich, in der gesamten Stadt und auch im Umkreis sind noch Nachwirkungen von den Weltkriegen, der Industrialisierung und den russischen Einflüssen erkennbar, zum Beispiel habe ich nicht erwartet, dass es in diesem naturverbundenen und vor allem dünn besiedelten Land so viele Medien gibt. Und hauptsächlich ist das Nachbarland Russland in den Schlagzeilen. Wobei unser Gastvater uns erzählt hat, dass sehr viel nur geheuchelt wird. In Seinäjoki selbst sind viele Menschen schlecht auf Russland zu sprechen und einige haben sogar einen riesengroßen Hals auf Nachbarland Nummer 2: Schweden. Außerdem läuft uns fast jeden Abend, wenn wir zurück zur Gastfamilie fahren, ein Elch über die Straße.
Übrigens kommt Schlagzeuger der Band Sunrise Avenue, Sami Osala, aus der Stadt Seinäjoki. Unser Gastvater hat sogar mal mit dessen Vater zusammen gearbeitet! ;)
U N S E R E G A S T F A M I L I E :
Unser Gastvater heißt lustigerweise Viggo. Komisch, dass man dann sofort an "Der Herr der Ringe" denkt ;) Unsere Gastmutter ist Alva. Zusammen haben sie eine Tochter, Neea (7) und einen Sohn, Väinö (13). Süße Kinder, nur zeitweilig etwas anstrengend. Väinö hat gerade seine erste Freundin, die er jeden zweiten Tag stolz nach Hause bringt - und die 15 ist. Ihr Name war irgendwie Kerttu oder so, finnische Namen sind fast noch schwieriger als kroatische. Vor allem kann man die Aussprache nicht so wirklich üben. Kroaten rollen das R, das kann man sich beibringen, aber Finnisch klingt, als ob die Menschen keine Luft bekommen, vielleicht auch weil alles so schnell ist. Aber wie soll man denn bitte üben, zu sprechen wie ein Asthmaanfall? :D
U N S E R E A R B E I T :
...ist die bisher entspannteste von allen. Wir sind in der Fachhochschule von Seinäjoki dazu eingeteilt, Touristen die wirklich monströse Bibliothek zu zeigen. Tobi und ich könnten Bücher heiraten und ich bin jedes Mal fasziniert, wenn ich diese Bibliothek betrete, aber vom Arbeitsaufwand her heißt es endlich mal durchatmen, so dass uns sogar noch Zeit für andere Dinge bleibt. Wir konnten also schon die Stadt selbst richtig gut erkunden (natürlich nicht ohne shoppen für mich :D), gestern haben wir sogar einen Tagesausflug nach Helsinki gemacht, das war im Arbeitsplan mit drin. Im Prinzip ist das hier wie eine Studienreise, denn neben Sprachkurs (Hilfe, ich verzweifel an der finnischen Sprache!) haben wir auch finnische Geschichte, Kunst, Kultur und Musik. Bei Musik sprechen natürlich alle Finnen ganz stolz von HIM, Nightwish, Sunrise Avenue, The Rasmus und Sonata Arctica. Natürlich noch von vielen anderen, aber das sind die, die wenigstens kenne ;)
Auch in Helsinki durften wir die große Stadtbibliothek besichtigen, hatten ein bisschen Freizeit zum Shoppen (ich habe meiner Mama jetzt schon das 9. Souvenir gekauft - und das in fünf Wochen!) und waren dann abends noch auf einer Kulturmesse eingeladen. Also hier herrscht mehr angucken und lernen als selbst machen, tut auch mal ganz gut. Wenn es am Montag dann ins Nachbarland Schweden geht, heißt es ja wieder volle Power geben!
Obwohl wir mehr Zeit haben und ich natürlich dann meine Zusammenfassung schon längst mal hätte posten können, bin ich trotzdem nicht dazu gekommen, weil ich einfach Zeit brauchte, um noch die zwei Wochen mit Kroatien und Irland verarbeiten musste, in denen wirklich am meisten Zeitentzug herrschte. Wir sind davon jetzt immer noch ausgepowert, von daher ist es ganz gut, dass wir jetzt eher Bücherurlaub gemixt mit ein bisschen Finnland von vorne bis hinten kennen lernen haben dürfen. Ein schönes Land und sehr nette Einwohner! Bisher habe ich bei jeder Etappe unserer Reise am Ende sagen können: "Hier will ich wieder herkommen!"
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen